Die ideale Förderung für Kleinkinder: Wie sieht sie eigentlich aus? Für uns Eltern ist es nicht immer leicht, die Entwicklung unserer Kinder gelassen zu begleiten. Zahlreiche Ratgeber erklären uns wie die „richtige“ Förderung aussieht. Unsere Kinder einfach mal „machen“ zu lassen und auf unsere Intuition zu vertrauen, fällt schwer. Begleitet werden wir von dem unguten Gefühl, etwas zu versäumen. Meine Erfahrungen als Mutter und Lehrerin zeigen, dass Kinder am besten aus eigenen Antrieb lernen. Von Natur aus sind sie neugierig und möchten die Welt entdecken. Warum das freie Spiel die beste Förderung für dein Kind ist und wie es bei uns aussieht, erfährst du in diesem Blogartikel.
Teebeutel- Phase
Es gibt diese Phasen. Diese Phasen, in denen unser Sohn eine bestimmte Sache immer und immer wieder macht: Eine Phase war er beispielsweise von Teebeuteln unglaublich fasziniert. Minuten lang wurde sich mit ihnen beschäftigt. In dieser Zeit hat er alles um sich herum vergessen. Innerhalb weniger Sekunden waren alle Teebeutel verknotetet, teilweise auseinander gerupft und der Boden voller Teekrümel. Wochenlang habe ich die Beutel nicht nur an den ungewöhnlichsten Stellen im Haushalt gefunden, sondern meinen Tee auch mit kleinen Stückchen darin schwimmend getrunken. Das Wort „Tii“(= Tee) war nach „Mama“ und „Papa“ übrigens auch eines der Ersten, das er gesprochen hat.
Umschütt- Phase
In der anschließenden Umschütt- Phase war Baden das große Thema. Immer und immer wurden wir mit den Worten „Banna“ (= Badewanne) an den Händen ins Badezimmer gezogen und erwartungsvoll angeschaut. Oft haben wir ihn in diesen Wochen täglich gebadet. Er saß dann glücklich und mit Becherchen verschiedenster Größen und Farben in der warmen Wanne. Wasser wurde vom einen in den anderen Becher umgefüllt, wieder zurück geschüttet, ausgekippt oder gekostet. M. war in diesen Minuten so fasziniert von dieser Tätigkeit, dass er alles um sich herum vergessen hat.
Kinderwagen- Phase
Während die anderen Kinder auf dem Spielplatz Sandburgen bauten oder schaukelten, stand M. am Kinderwagen und untersuchte die Technik des Anschnallgurtes. Auch kleinere Pausen im Hausflur und Hinterhof gehörten zu unserem Tagesgeschäft. In dieser Zeit liebte er das Auf- und Zumachen des Gurtes. Anfangs klappte es nicht so wie er wollte und man hörte ihn schimpfen. Mit der Zeit wurde er darin immer besser.
Dieses Verhalten erklärt die Entwicklungspsychologie so:
Bis zu seinem dritten Lebensjahren nimmt ein Kind die Umwelt wie ein Schwamm auf. In dieser Zeit lernt es mühelos und saugt Sprache, Sinnesreize, Abläufe und Rituale passiv, unreflektiert und frei von Wertung auf. Diese Lebenseindrücke sind die Basis für die spätere Entwicklung und Fundus für sein aktives Handeln.
Maria Montessori
Sensible Phasen
Die Anthropologin und Begründerin der Montessori- Pädagogik, Maria Montessori, spricht in der kindlichen Entwicklung von so genannten „sensiblen Phasen“. Das sind Phasen, in denen das Kind für den Erwerb bestimmter Fähigkeiten besonders empfänglich ist. Dabei richtet sich die kindliche Aufmerksamkeit auf eine ganz bestimmte Sache.
Laut Montessori besitzt jedes Kind einen „eigenen Bauplan“, durch den es selbstständig entscheidet, wann das Lernfenster für bestimmte Fähigkeiten geöffnet ist. In diesen sensiblen Phasen geht es ganz individuell und entsprechend seiner individuellen Entwicklung den eigenen Interessen nach. Jedes Kind ist in ihren Augen daher Baumeister seines Ichs und Akteur des eigenen Lebens.
Freies Spiel in KiTa und Grundschule
Das Hauptelement der Montessori- Pädagogik ist das freie Spiel. Dabei entscheidet das Kind selbst, womit es sich beschäftigen möchte. Ebenso wie lange und intensiv. Hierbei steht ein spezielles Lehrmaterial zur Verfügung, das die Sinne anregt. Das ist in erster Linie handlungsorientiert und für die Kinder frei zugänglich. Hauptsächlich geht es hierbei darum, die Kinder in ihrer Selbstständigkeit zu fördern. Der Ansatz bedeutet auch, Kindern beim Lernen Zeit und Raum zu lassen. Ihr Lernen durch Beobachtung und dem richtigen Maß an Unterstützung zu begleiten.
Hilf mir es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Hab Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen.
(Maria Montessori)
Wie fördern wir unser Kind?
Spielen ist lernen – Lernen ist spielen
Für uns bedeutet es im Alltag unserem Sohn Raum zu geben, seine Interessen zu verfolgen. Dabei soll er selbst entscheiden, wo, womit und wie lange er sich beschäftigen möchte. Unser Zu Hause ist auch daher so kindersicher organisiert, dass alles Spielzeug ist. Natürlich gibt es auch hier Grenzen.
In seinen ersten zwei Lebensjahren war das Interesse unseres Sohnes an dem eigenen Spielzeug gering. Bilderbücher, Kuscheltiere, auditive Spielzeug – das alles hat ihn kaum interessiert. Immer wieder haben wir sie ihm angeboten. Entweder gar nicht oder nach wenigen Sekunden war seine Aufmerksamkeit abgelenkt. Hingegen konnte er sich unser Sohn minutenlang mit typischen Gegenständen des täglichen Gebrauchs beschäftigen, die er sich selbst ausgewählt hat: die Teebeutel für den morgendlichen Tee, die Stempelkanne für den Kaffee, der Putzschwamm beim Spülen, die Kochtöpfe auf dem Herd, et cetera.
Schnell haben wir gelernt, dass unser Sohn sein Spiel selbst gestaltet und gleichzeitig aufgehört, ihm Spielzeug anzubieten, das wir als interessant für ihn hielten. Stattdessen haben wir versucht, uns mehr auf seine Interessen einzulassen und ihn in diesen zu unterstützen. In der Teebeutel- Phase stand der Staubsauger immer in Reichweite. Gute Kochtöpfe und Pfannen wurden aus der Schublade in Kinderhöhe weggeräumt und durch ältere Modelle ersetzt. Beim Spülen bekam der kleine Mann einen unbenutzten neuen Spülschwamm, damit er mit saubermachen konnte. Manche Gegenstände gingen auch mal zu Bruch, wenn wir nicht schnell genug waren.
Das Zauberwort „Beobachten“
In dem wir unseren Sohn mehr beobachtet und gleichzeitig weniger angeleitet haben, entwickelten wir ein gutes Gefühl für ihn. Momentan ist er in der Turmbau- Phase. Alles wird zu Türmen gestapelt, was er in die Fingerchen bekommt: Sofakissen, Duplosteine, Dosen, kleine Sanduhren. Vor allem in Sachen Feinmotorik hat sich der junge Herr seitdem sehr weiterentwickelt. Das Bauen von Türmen haben wir ihm nicht gezeigt. Das Interesse daran hat er allerdings ganz von selbst entwickelt. Als es uns aufgefallen ist, haben wir gemeinsam mit ihm gebaut. Ihm Varianten, sowie geeignete Gegenstände gezeigt und ihn so in seinem Interesse begleitet. Für mich bedeutet es übrigens, mich im entspannt bleiben zu üben. Das Wohnzimmer im Kriegszustand für den Moment zu akzeptieren anstatt sofort hinterher zu räumen.
Umgekehrt bedeutet es auch, dass Kinder selbst entscheiden, wann sie für bestimmte Erfahrungen empfänglich sind. An den Teebeuteln hat er mittlerweile das Interesse verloren. Nun sind andere Lernerfahrungen spannend.
Kinder in ihrem freien Spiel stärken
Laut dem Hinforscher Gerald Hüther ist das Spielen regelrecht „Dünger für das Gehirn“, das neue neuronale Verbindungen legt und bereits Bestehende stärkt. Die optimale Frühförderung ist daher, Kinder in ihrem freien Spiel zu stärken: Lerninhalte und das eigene Spiel selbst auswählen zu lassen und darauf vertrauen, dass Kinder am besten wissen, was sie gerade brauchen. Eigenständige Erfahrungen führen zu einem Flow- Erleben (lese hier), wodurch Glückshormone ausgeschüttet und Neuronen im Gehirn vernetzt werden. Hier findest du eine Reihe an guten Tipps wie du das freie Spiel bei deinem Kind unterstützen kannst.
Fazit
Spielen ist für Kinder ein Grundbedürfnis, das nicht nur Spaß macht, sondern sie auch in ihrer Entwicklung fördert. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, die dafür entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen.
Indem wir uns ihnen liebevoll zuwenden und ihre sensiblen Phasen erkennen fördern wir sie genau in den Fähigkeiten, für die sie gerade empfänglich sind. Durch eine gute Mischung aus Freiräumen und Grenzen entwickeln sie ihre Identität und Persönlichkeit und erleben ihre eigene Wirksamkeit im Tun. Im freien Spiel entwickeln sie Lösungsstrategien und lernen die Welt kennen, in der sie leben.
Kids are just fantastic.
Dieser Blogbeitrag ist auch unter www.colognecreative erschienen.